Ferninterview mit Li Yonggeng
Geführt von Felicitas von Droste zu Hülshoff
Düsseldorf - Peking Juni 2014
Wie sind Sie zur Kunst gekommen? War es schon von Klein an Ihr Wunsch Künstler zu werden?
Als ich zur Mittelschule gegangen bin gab es nur eine Kunstunterrichtsstunde pro Woche. Sie beinhaltete sehr viel Selbststudium. Später kam ein Vertretungs-Kunstlehrer, der uns beibrachte die Werke in unserem Kunstlehrbuch nachzuahmen. Ich benutzte einen Bleistift der Stärke 6B und ahmte eine Landschaft von Bada Shanren nach. Das Bild erreichte den Zuspruch des Lehrers und er suchte es als Bestandteil der Schulausstellung aus. Dadurch begann ich mich für Malerei zu interessieren. Aber bald darauf hörte der Kunstunterricht auf. Dann traf ich eines Tages zufällig den Kunstlehrer aus der Schule in der Nähe beim Zeichnen nach der Natur. Er fragt mich, ob ich immer noch malte. Ich sagt nein, ich male nicht. Er sagte wieder, dass ich eine Begabung für das Zeichnen habe und ich sollte, wenn ich das mag, damit weitermachen. Im zweiten Jahr wechselte ich zur Schlüsselschule in der Stadt. Eines Tages, sagte der Lehrer vor dem Unterrichtsschluss, dass in der Schule eine Kurs für Malerei Interessierte angeboten wird. Er fragte wer sich einschreiben wollte und obwohl es jeden Monat einige Yuan kostete, schrieb ich mich ohne zu zögern ein. Insgesamt waren wir drei Schüler die sich einschrieben.
Am Anfang, auch wenn ich malte, hatte ich trotzdem nicht vor Künstler zu werden. Ich mochte es und das war alles. Als ich ein Kind war mochte ich auch Kalligraphie, später erst finge ich dann an die Malerei zu mögen.
Warum haben Sie sich zeitlang auf Ölmalerei spezialisiert?
Heute beschäftige ich mich nicht mehr mit Ölmalerei. Als ich für die Aufnahmeprüfung zur Hochschule lernte habe ich mich sehr damit beschäftigt. Damals gab es eine Zeitschrift die hieß „Kunst Panorama“, dort wurden Maler wie Van Gogh, Paul Cézanne, Lucian Freud und Balthus vorgestellt. So begann ich Ölmalerei zu mögen, zu Hause studierte ich selber Malerei und ahmte diese Künstler nach. Aber damals gab es nur sehr wenige Maler in meinem Bekanntenkreis die sich mit Ölmalerei beschäftigten. Für die Prüfung war nur Ma-len mit Gouache wichtig. Damals glaubte ich, nur Ölmalerei wäre die richtige Kunst. Heute denke ich immer noch, dass mein Gedanke von damals interessant ist.
Warum haben Sie am Art Institute for Oriental Culture studiert?
Ich habe mich dazu entschieden an dem Art Institute for Oriental Culture zu studieren um nach Peking zu kommen. Damals gab es nur an den nationalen Kunstakademien die Fach-richtung Ölmalerei. Aber die Aufnahmeprüfung für die Akademien waren besonders schwer. Jedes Jahr waren es in ganz China nur ein paar Wenige die aufgenommen wur-den. Ich habe drei Jahre in Folge vergeblich versucht die Prüfung zu bestehen. Später er-fuhr ich dann, dass dieses Art Institut for Oriental Culture auch eine Fachrichtung auf Ölmalerei anbietet und das auch in Peking, also ging ich nach Peking und studierte dort.
Welchen Einfluss hatte die Pekinger Kunstszene auf Sie? Glauben Sie die Kunstszene hat sich sehr verändert in den letzten Jahren? Beeinflusst das Ihre Arbeit?
Die Pekinger Kunstszene hat auf mich keinen Einfluss gehabt. Einerseits, hab ich mit an-deren Künstler wenig Kontakt gehabt und andererseits, haben meinen Sachen wenig ge-meinsam gehabt mit denen der anderen.
Ich finde, dass die Polarisierung der Künstler in China sehr kritisch ist, auf der einen Sei-te gibt es die erfolgreichen Künstler, die auf Auktionen Rekordpreise erhalten, auf der an-deren Seite die armen Künstler, die in Armut leben und sich um Kleidung und Essen Sor-gen machen müssen. Während der Wirtschaftskrise vor ein paar Jahren stagnierte der Kunstmarkt, es gab nicht wenige Künstler die, weil sie es nicht ausgehalten haben so wei-terzumachen, Peking verlassen haben und in ihre Heimatprovinzen zurück gekehrt sind. Ich habe lange Zeit immer gleichzeitig gearbeitet um Geld zu verdienen und nebenher Kreativ für mich selber gearbeitet. Jetzt arbeite ich auch noch als Designer Nebenberuf-lich. Ich bin wirtschaftlich verhältnismässig Stabil, deshalb kann ich in meinem Schaffen auch relativ frei sein. Ich muss nicht zu sehr über den Faktor Markt nachdenken.
Welche ist die Hauptinspirationsquelle für Ihre Arbeit? Worum geht es Ihnen? Was treibt Sie an? Was möchten Sie erreichen?
Meine Inspiration kommt hauptsächlich von meiner Intuition. Sie entwickelt sich aus zufäl-ligen Ideen und Improvisationen in meinem Alltagsleben. So ist es Zufall, dass ich durch die Leinwand geschnitten habe, die Entscheidung sie wieder zusammen zunähen war auch spontan. Ich erinnere mich, dass Beuys sagte: „Die Improvisation ist die höchste Ra-tionalität“. Ich mag dieses Zitat sehr.
Was das Ergebnis meiner Arbeiten betrifft, so verfolge ich nicht eine allzu bestimmte Ab-sicht. Mein ideales Ziel ist es, dass die Wirkung eine außerhalb der Erwartung liegende Überraschung ist. Ich hoffe, dass meine Arbeit meine Eigenheit zeigen kann, in dem Be-trachter Resonanz findet und ihn zum Denken anregt.
Mit welchen Künstlern fühlen Sie sich verwandt? Wer hat Sie besonders geprägt?
Es ist sehr schwer zu sagen welchen Künstlern ich ähnlich bin, ich kann aber mal aufzählen welche Künstler ich mag: Duchamp, Beuys, Simon Starling, Andy Goldsworthy, Gabriel Orozco, Eva Hesse, Mark Rothko, Cy Twombly etc…
Die Künstler mit dem grössten Einfluss auf mich sind Duchamp und Beuys. Duchamp mit seinen Readymades hat das Kunstwerk von den Grenzen befreit. Seine Lebenseinstellung hat mich, meine Ansichten über die Kunst und das Leben, auch beeinflusst. Beuys hat das Konzept eingebracht, dass jede Menschen ein Künstler ist, von der sozialen Skulptur. Er hatte das Ideal, dass man mit der Kunst als Therapie die Gesellschaft verändern kann. Was den Aspekt des Nutzens der Kunst betrifft, gab er mir eine tiefere Einsicht. Weiterhin, haben seine Werke wie die Filzkleidung, der Fett Stuhl, die in Glühbirnenfassungen ges-teckten Zitronen, mit ihrer wärme für Menschen die von ihnen ausgeht, mein späteres Schaffen sehr stark beeinflusst.
Kannten Sie Luciano Fontanas Arbeiten als Sie angefangen haben selber Leinwände zu zerschlitzen? Gibt es in China andere Künstler die eine ähnliche Herangehensweise ha-ben?
Als ich angefangen habe Leinwände mit Schnitten zu versehen kannte ich Luciano Fontana noch nicht. Meine erstes Werk dieser Art war die zerschnittene Leinwand „Einakter“, die ich 1997 vollendet habe. Als ich diese Arbeit machte, wollte ich ursprünglich einen weinenden Menschen malen, doch egal wie ich ihn malte, ich war nicht zufrieden. Dann griff ich unvermittelt zu einem Messer um in das Gesicht des Menschen einige Schnitte zu schlitzen. Damals gab es noch keine Naht, erst nach einiger Zeit, als mir der Anblick der Leinwand unerträglich wurde, nahm ich Nadel und Faden um die Schnitte wieder zusammen zu nähen. Später ergänzte ich noch mit Wollgarn die Form eines Vorhanges. Später hörte ich damit auf erst gegenständliche Gestalt unter der Naht zu malen. Auf dieses Verschwinden des Figurativen hat Fontana seinen Einfluss gehabt. Meinem Wissen nach, gibt es keinen anderen Künstler in China der eine ähnliche Methode für sein Schaffen verwendet.
Wie kommt es dass Sie den Pinsel gegen die Nähnadel ausgetauscht haben? Was möch-ten Sie mit dem wieder Zusammennähen der Leinwände ausdrücken? Ist es ein Versuch den ursprünglichen Akt der gewaltsamen Perforierung der Leinwand wieder zu reparieren?
Dies hat wahrscheinlich mit meiner eigenen Lebenserfahrung zu tun. Ich habe keine klassische künstlerische Ausbildung an einer Kunstakademie genossen. Ursprünglich habe habe ich mir alles selber beigebracht, deshalb habe ich wenig Regeln zu befolgen. Ausserdem, hat mich meine grosse Schwester, als ich klein war, immer zum spielen mitgenommen. Dadurch habe ich all das gelernt was die Mädchen so machten wie zum Beispiel Federfussball spielen, Seilspringen, Handarbeit usw. Als ich mit der Mittelschule fertig war und ich von zu Hause weggezogen bin um Malerei zu studieren, musste ich das Kochen, Wäsche waschen, das Nähen und Flicken, all diese Dinge selber machen. Daher kam das spätere Benutzen von Nadel und Faden in meinen Werke auf sehr natürlich Weise.
Für mich, steht das Nähen und Flicken dafür, dass wenn wir Verletzungen erhalten oder Fehler machen, es eine Wunden-Reparatur und Heilung gibt. Es ist eine Methode um sich selbst zu retten. Zugleich beinhaltet es auch eine Metapher für die mütterliche Fürsorge.
Beuys hat eine Performance gemacht, in der es sich mit dem Messer in die Hand geritzt hat. Er hat dann mit Gaze das Messer fest umwickelt, weil er vermeiden wollte, dass es noch einmal jemanden verletzt. Dennoch meine ich, was ich im Moment wirklich machen könnte ist nur die Verletzung zu reparieren und wieder eins zu machen.
Wie wählen Sie die Farbe und das Material Ihrer Werke? Haben Sie ein Lieblingsmaterial? Wenn ja, warum bevorzugen Sie das?
Die Wahl der Farben und Materialien ist sehr ungezwungen, ich gebe den Vorrang dem was einfach zu benutzen und praktisch ist. Zur Zeit sind die Leinwände, die ich zum Arbeiten aussuche aus einer Art dicken reinen Baumwolle, mit einer rauen, klaren Textur. Ich mag diese Art schlichte Materialität.
Wenn ich bestimmen muss, was meine liebstes Material ist, dann sind es die schon von mir benutzte Sachen: getragene Kleider, benutzte Stifte, alltags Gegenstände die sich im Haus befinden usw. Ich mache auch eine Gruppe von Installationen die sich „Haus bauen“ nennt, dass sind einige kleine Installationen aus daheim nützlichen Gegenständen. Wenn ich ein Material aussuche, dann gebrauchte Gegenstände, die vertraut sind, einfach und passend für eine spontane Arbeitsweise. Gleichzeitig sollten die Gegenstände auch eine Geschichte habe und somit einfacher Emotionen zu übertragen ist.
Geht es Ihnen auch darum mehr Dreidimensionalität in Ihre Werke zu bringen? Fontana sagt, dass er durch seine Schlitze den Raum geöffnet hat für eine neue Dimension. Aber Sie öffnen diese zusätzliche Dimension um Sie dann wieder zu schliessen. Wieso?
Der Ausgangspunkt meines Schaffens hatte mit dem Raum nichts zu tun. Erst später erfuhr ich von Fontanas Konzept, daher kann man seine Theorie nicht zum Erklären meiner Arbeiten verwenden. Mein Gedanke ist es, das Nähen und Ausbessern zu benutzen, diese Art alltägliche Arbeitsmethode, um meine Lebenserfahrung und meine Empfindung zu vermitteln.
Viele Ihrer Arbeiten sind auf runde oder elliptische Rahmen montiert. Was bedeutet das für Sie ? Warum entscheiden Sie sich teilweise gegen den gängigen rechteckigen Rah-men?
Vorab, einen runden oder ovalen Rahmen zu benutzen ist bei uns sehr weit verbreitet. Natürlich, manchmal kommt der Bedarf eine unterschiedliche Form von Rahmen zu wählen auch daher eine bestimmt Symbolik ausdrücken zu wollen. Zum Beispiel: eine runde Form mit schwarzen Grund und kleinen Punkten darauf, erinnert an den Sternenhimmel; ein elliptischer Rahmen mit einem strichförmigen Schnitt wird Assoziationen an ein weibliches Geschlechtsteil erwecken.
Ich widersetzte mich nicht gegen die Form des Rahmens. Zur Zeit benutze ich am häufigsten quadratische Rahmen. Das Nähen beschränkt die Größe des Rahmens, zu große Leinwände sind schwierig zu Nähen. Ausserdem habe ich auch unmittelbar auf Kleidung genähte Werke gemacht.
Was Bedeuten die Titel Ihrer Werke? Wie wählen Sie die Titel aus? Spielen Sie überhaupt eine Rolle?
Meinen Sie mit Titel die Bezeichnung, den Namen des Werkes? Diese Serie heisst „Verschreibung“, sie hat die Bedeutung von Gegenreaktion, konkret heisst es in diesem Fall die Schnitte auf der Leinwand wieder zusammen zu nähen. Gleichzeitig, ist „Verschreibung“ auch die Methode mit der wir erlittene Verletzungen oder wenn wir selbst Fehler begehen, wir uns selber reparieren und heilen können. Ich habe selber eine zeitlang Depressionen gehabt. Wenn ich nähe hat es die Wirkung, dass ich eine Linderung fühle. Diese Methode ist auch meine persönliche Therapie Verschreibung.
Wenn ich eine Arbeit beendet habe, dann lass ich mir Zeit um der Arbeit einen Titel zu geben. Während des Arbeitsprozesses erscheint der Name dann vielleicht von selbst. Titels leiten das bessere Verständnis der Werke durch das Publikum, aber ich glaube den Herstellungsprozess einer Arbeit zu verstehen ist wichtiger als ihr Name.
Wie möchten Sie, dass Ihre Werke ausgestellt werden?
Wenn es die Umstände zulassen, dann ist es das Beste die Werke bei natürlichen Licht auszustellen. Die plastische Struktur der Nähte auf den Leinwänden sind dann am sichtbarsten. Ausserdem, möchte ich, dass meine Arbeiten vom Besucher berührt werden können.
Welche Rolle spielt der Mensch, der Betrachter für Sie? Was möchten Sie Ihn vermitteln?
Ein vollkommenes Werk bezieht die Wahrnehmung durch das Publikum mit ein. Das Verständnis vom Publikum verhilft dem Kunstwerk dazu über sich hinaus zum wachsen.
Ich wünsche mir, dass meine Arbeiten Menschen warme und positive Gefühle geben können. Gleichzeitig sollte das Publikum entdecken, dass das künstlerische Schaffen überhaupt nicht so mysteriös und unerreichbar ist. Viele Praktiken aus der täglichen Arbeit können für die Schaffung eines Kunstwerkes verwendet werden. Das sind alles Medien um unsere Empfindung zu vermitteln.
Sehen Sie sich als abstrakter Künstler? Was würden Sie sagen zeichnet die abstrakte Kunst in China heute aus? Wie unterscheidet Sie sich vom Rest der Welt?
Ich habe noch nie darüber nachgedacht welche Art von Künstler ich bin. Ich möchte mir nicht vorzeitig ein Etikett aufkleben. Am wichtigsten ist für mich, ob meine Arbeiten bei den Betrachtern Resonanz hervorruft. Heutzutage existieren viele Kunstrichtungen nicht separat, sie sind eng miteinander verbunden und gehen ineinander über. Ursprünglich habe ich diese Gruppe von Arbeiten als zweidimensionalen Installationen definiert, da sie Elemente der Konzeptkunst und der Aktionskunst enthalten. Und schliesslich erscheint das was man visuell wahrnimmt als abstrakt.
Ich habe auch nicht viel darüber nachgedacht wie Kunstrichtungen sich definieren lassen. Ich achte eher auf die Arbeitsmethode von Künstlern, die Logik der Arbeiten und darauf ob eine Arbeitsmethode ein Entwicklungspotential hat. Ich glaube, dass chinesische Künstler es für wichtig halten die Methode der Erzählung zu erforschen und ausländische Künstler heben mehr die visuelle Darstellung hervor.
Woran arbeiten Sie gerade? Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
In letzter Zeit mache ich mit der Werkreihe „Verschreibung“ weiter, aber was die Methode angeht gibt es ein wenig Änderungen. Früher habe ich selber die Leinwände aufgeschlitzt, jetzt aber bitte ich andere sie aufzuschlitzen. Ich nähe die Leinwand dann selber wieder zusammen. Gleichzeitig mache ich noch eine andere Reihe von genähten Werken. In Zukunft will ich das Konzept vom Flicken noch einen Schritt weiter bringen. Auch will ich installations- und interaktive Methode benutzen um einige Arbeiten zu machen die in Wechselbeziehung zu den Alltag stehen.
Was wissen Sie über Düsseldorf / Deutschland?
Deutschland ist ein Land das viele Künstler und Denker hervorgebracht hat. Mir gefällt sehr gut die sehr gewissenhafte Arbeitshaltung der Deutschen. Was mein Wahrnehmung von Kunst angeht steht sie in enger Beziehung zur deutschen Kunstgeschichte. Als ich anfing Malen zu lernen ahmte ich Dürers und Holbeins Zeichnungen nach. Dann, als ich studierte schwärmte ich für die Arbeiten der deutschen neo-expressionistischen Künstler wie Anselm Kiefer und Georg Baselitz. Heute mag ich Joseph Beuys und Eva Hesse. Sie haben einen starken Einfluss auf meine Kunst.
Auch mein Wissen über Düsseldorf habe ich aus der Biographie von Joseph Beuys ge-wonnen. Er hat dort unterrichtet und die Studentenbewegung angeleitet. Dadurch bin ich der Stadt gegenüber voller Neugier und Erwartung.